Katrin meint.

Ocean Vuong 
On Earth We’re Briefly Georgeous

Ich kann zuweilen ein recht oberflächlicher Mensch sein. Wenn ein Buch On Earth We’re Briefly Georgous heisst, dann kaufe ich es. No questions asked. Und dann steht da: »Because freedom, I am told, is nothing but the distance between the hunter and its prey« und ich denke, alles richtig gemacht. Ich warte gespannt auf mehr solcher Sätze und die kommen auch in unregelmässigen Abständen, aber dazwischen kommt nichts. Dazwischen ist Langeweile. Dazwischen ist ein Flüchtlingsschicksal – noch eines. Ich weiss, das klingt hart – noch eines. Was Ocean Vuong sicherlich meisterhaft kann, ist Bilder zu schaffen, die den Lesefluss aufhalten. Das mag für manche poetisch sein, aussergewöhnlich. Ich habe schon zu viel davon gelesen, für mich sind Abstraktionen nicht das Leben und schon gar keine Geschichte.«

Nino Haratischwili 
Juja

»Die Geschichte selbst erzählt nichts, aber sie gibt dir die Möglichkeit, dich darin wiederzufinden.« Mehr will ich gar nicht. Mehr will doch keiner, der Geschichten liest. Es dauert eine Weile, bis ich in Juja hineinfinde (»Ich gehe und wachse und dies ist mein Mord«, hä?), bis mir die Sprache egal wird. Darf sie das? Egal werden? Wo doch alle von Sprachgewalt reden. Ich sage: weil in diesem Buch die Sprache ihre ganze Gewalt entfacht, kann man sie vergessen und somit die Geschichte, die Möglichkeit, sich in der Geschichte wiederzufinden erleben. Der Gewalt von Sprache ist ohnehin jeder ausgeliefert, weil sie nicht fassbar ist. Und Nino versucht gar nicht erst sie zu fassen – auch deshalb konnte Brilka acht Leben haben.

Foto: ©G2 Baraniak

Madame Nielsen 
Das Monster

Es ist so ziemlich Schnuppe, welche Seite ich aufschlage, von einem Monster ist keine Spur zu finden. Egal auf welcher stilistischen, strukturellen oder epistemologischen Ebene ich versuche, eines zu finden. Monströs ist hier nur die Langeweile, mit der ich dem namenlosen (oder hat er einen und ich hab ihn vergessen?) Protagonisten durch New York folge. Ein New York, das noch weniger greifbar ist, als das von Paul Auster, weil es farblos und nichtssagend in der Selbstverliebtheit von Madame Nielsens Vokabular und dem Versuch die Postmoderne wieder heraufzubeschwören verschwindet. Analsex und Willem Dafoe machen das ganze auch nicht erträglicher. »Heinz’ Tomato Ketchup, dachte er, also gibt es doch eine Verbindung zwischen der Nacht und dem Tag, zwischen Kunst und Leben, zwischen Perversion und formlosem Alltag.« Vielleicht ist aber auch alles ironisch gemeint und ich hab’s bloss nicht verstanden.

Nicolas Mathieu
Wie später ihre Kinder

Obwohl Anthony, 14, »massiv wie ein Steak«, nur ficken will, ist es ein gutes Buch. Und obwohl Nicolas Mathieu alles auffährt, was das Klischee (oder die Wahrheit) eines abgefuckten Frankreichs bedient – nicht sonderlich artistisch, dafür umso treffender formuliert –  ist es eine gute Geschichte. »Anthony blieb allein zurück. Die Häuserreihen standen unverändert, in ihrer ganzen Monotonie, mit den vertrockneten Bäumen, den mannshohen Zäunen.« Schlägereien, Sex, Drogen, Migranten, arbeitslose Alkoholikereltern, Klassen- und Rassenkampf. Nichts Neues, aber das versucht der Roman auch nicht zu sein. Dafür gab’s 2018 den Prix Goncourt und von mir keine wirkliche Meinung dazu, ausser, dass es kurzweilig und selbsterklärend ist. Ich mag es nicht mehr, beim Lesen Bedeutung herausraten zu müssen.

Quelle: Getty Images/AFP/JOEL SAGET

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