SPRACHMÜLL

Ich hänge jeden Tag VIEL!! zu lang am Handy. Ich glotze auf absolut stumpfsinnige Instagram-Storys und registriere langsam, wie ich zusehends verblöde. Ich fühle mich schon scheiße, während ich die Bilder, Memes und kurzen Videos morgens auf dem Klo konsumiere, aber ich kann ums Verrecken nicht aufhören.

Jetzt habe ich es geschafft, das Scheißhandy endlich mal wegzulegen, setze mich in meinen Lesesessel am großen Fenster und beginne, ein Buch zu lesen, das mir berühmte Leute des Literaturbetriebs auf dem Buchrücken anempfehlen. »Eine unverbrauchte, erfrischende Stimme«, lese ich und »Die Stimme einer Generation«, »Der Autor ist ein sehr genauer Beobachter« usw. Ich muss kotzen. Wenn ich solche Sätze lese, setzt mir das körperlich zu. Der gleiche Müll wie am Smartphone, nur diesmal Wortmüll. Ein Buch mit Stil macht sowas einfach nicht. Dieser gottverdammte Stumpfsinn, leere Phrasen: »Ein Buch am Puls der Zeit«. Was soll ich mir bitte darunter vorstellen? Jeder weiß doch eh, dass das da in jedem Fall steht, auch wenn das Buch der letzte Dreck ist. Denken die, wir sind komplett verblödet? Es findet sich IMMER ein Himbeertoni, der »das Buch der Stunde« »total inspirierend und gegenwärtig« findet. Ich will das Buch jetzt sofort in die Ecke pfeffern und drauf pissen. Alles ruiniert – frustriert greife ich zum Handy.

Warum produziert ihr jeden Tag derartigen Sprachmüll? Er stinkt zum Himmel. Gerade ihr? Ihr, die ihr für die Schönheit der Sprache, für Experimente, für eine ANDERE Sprache, jenseits von Marketing-Sprech, einsteht? Kippt die abgegriffenen Floskeln und Wendungen auf den Müllhaufen der Sprache, wo bereits andere bucklige Verwandte, wie »der unaufgeregte und authentische Stil des Autors hat uns überzeugt« und »sie schreibt humorvoll und zugleich kritisch, schön aber unprätentiös« ruhen. Danach geht ihr nach Hause und »entschleunigt« erstmal, um hoffentlich auf Sätze wie diesen zu kommen:

»Damals gab es keine Zeit, so wie es in der Erinnerung keine Zeit gibt. Es war nur der Sommer, in dem wir unten am Fluss waren, Forellen fingen, und ich dachte, dass sich nie etwas ändern würde.«

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Kunst, Politik und Erlösung: eine deutsche Erzählung

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