Die Berufenen

Kommentar
zum Literatur-
nobelpreis 2019
von einem
Geistlichen

Benn, Heidegger, Handke haben sich politisch-ideologisch verrannt. Einerseits spielen Intellektuelle in Deutschland kaum mehr eine gesellschaftliche Rolle, andererseits leisten sie mit ihren Verfehlungen unserer Skandalgeilheit Vorschub. Vor Letzterer ekle ich mich. Auch dieses Menschenbild des in jeder Beziehung vollkommenen, positiven, weisen, stets menschenfreundlichen Intellektuellen, die am besten noch meditiert. Was Handke zu sagen hat, interessierte seit Jahren nur eine begrenzte Anzahl von Menschen, die zudem über seine Milošević-Apotheosen eh nur den Kopf schüttelten. Seit der Nobelpreisverleihung liegt der Fall anders. 

Ich bin mir nicht sicher, ob es angesichts des Skandalons klug ist, von Ohrfeigen für die politische Korrektheit zu sprechen, und so zu tun, als habe die Entscheidung für den Nobelpreis keine politische Dimension. Es handelt sich keineswegs – wie von Literaturbetriebsgrößen behauptet wurde – um eine Rückkehr zu rein ästhetischen Kategorien und einer Aufwertung des künstlerischen Werks, sondern um ein politisches Signal, das da lautet: Wir ignorieren die Verirrungen des Autors. Die ausschlaggebende Motivation politischer Korrektheit ist sicher nicht ihr Missbrauch. Es geht nicht darum, Diskursmacht auszuüben oder die Verhältnisse umzudrehen. Ihr ursprünglicher Sinn besteht darin, auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die normalerweise immer überrannt wurden. Diese Behauptung eines bekannten Literaturkritikers erinnert mich – ich bin selbst schockiert – an AfD-Rhetorik. Miloševićzu unterstützen, war kein mutiger Ausdruck des Protests gegen den angeblich repressiven Sprech der Political Correctness. Handke wollte gegen die Trennung im Mainstream-Diskurs “Die Serben sind böse, die anderen sind die Guten” protestieren und hat dabei das große Ganze vollständig aus den Augen verloren. Seine Schwäche besteht darin, dass er es nicht einsehen will oder kann. Hier fehlt ihm die Größe, die seinem literarischen Schaffen unzweifelhaft zukommt. 

Es ist nicht so, als ob genauso brillante unbelastete Schriftsteller eine Rarität wären. Für diejenigen, die ihren Ästhetizismus durch die Auswahl Handkes jetzt bestätigt fühlen – und glauben Sie mir, ich selbst bin immer wieder versucht, mir eine ästhetische Welt herbei zu dichten, wenn ich durch die Stadt laufe -, steht fest, dass Großes prämiert werden müsse, ohne dass wir andere Aspekte in unsere Erwägungen miteinbeziehen sollten. Warum eigentlich nicht? Den Preis bekommt der Mensch für sein Werk, aber ist das wirklich zu trennen? 

Denken wir an Handke, rechnen wir den Nobelpreis seiner Person zu und sehen in seinem Werk den Ausdruck eines Weisen. Es ist zynisch zu behaupten, die Verleihung des Preises an einen politisch Verirrten würde der Heldenverehrung ein Ende setzen. Heute betrachten wir die ganze Person. Das hat sich verändert. Vormals konnte man sich mehr erlauben und wurde nichtsdestoweniger hochgeschätzt. Jetzt gibt es dafür auch mal Kritik. Große Autoren dürfen sich politisch verlaufen, allerdings tragen sie eine besondere Verantwortung. Wir brauchen keine Disney-Intellektuellen, die sich nicht einmischen, aber sie müssen die Größe besitzen, deutliche Worte für ihre Entgleisungen zu finden. 

Ich frage mich, warum wir immer noch das Genie mit seinen Abgründen anbeten? Das ist eine Denkfigur mit langer Tradition. Allerdings eben eine Denkfigur, die sich mit der Zeit wandelt. Als ob Großes nicht ohne Schwarze HefteDer neue Staat und die Intellektuellen und Gerechtigkeit für Serbien möglich wäre. Wir erklären Schriftsteller und Intellektuelle für sakrosankt, projizieren unsere eigenen Machtgelüste und Begierden auf sie. Wir genießen durch sie hindurch ihre Provokationen, ihre Abgründigkeit. Sie dienen uns als billige Helden. Warum sollte ein Schriftsteller mehr Durchblick haben, nur weil er phantasiereiche Fiktionen konstruiert? Wir erwarten schließlich auch  von  Ribéry, der auf vergoldete Steaks steht, keine Einsichten in den Palästina-Konflikt. 

Nun stellt sich die Frage, ob Heideggers Engagement im Nationalsozialismus und sein Antisemitismus wirklich von seinem Denken zu trennen ist. Provozieren Denkfiguren wie die Geworfenheit ins Daseinund das Sein zum Tode nicht das martialische Begehren, gerade aufgrund der radikalen Grundlosigkeit des Menschen nach der Macht zu greifen? Ist denn Hitler gar nicht als Konsequenz eines solchen Denkens zu denken? Wer an eine Herrschaft der Kunst glaubt, das dereinst kommen wird, könnte – so die historische Konstellation günstig ist – durchaus versucht sein, das Dritte Reich als die Manifestation dieser Idee zu begreifen. 

Kunst ist immer politisch, denn sie verschiebt die Grenzen unserer Wirklichkeitswahrnehmung. In ihr gibt es auch klüger agierende Protagonisten. Handkes Werk ist zweifelsohne herausragend, aber die Vergabe bedeutender Preise und der sich darum entspinnende Diskurs sagt mehr über uns aus, als uns lieb sein kann. 

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